Bildung und Vielfalt: Riesiges Interesse für die zweite „Konferenz des Zusammenlebens"
Bildung und Vielfalt in Kindergarten und Schule im Fokus der Konferenz in der FH Joanneum
Graz, 6. Februar 2013 – Integrationslandesrätin Bettina Vollath und Bildungslandesrat Michael Schickhofer luden unter dem Titel „Vielfalt braucht Bildung – Bildung braucht Vielfalt" in die Fachhochschule Joanneum. Mehr als 350 Interessierte aus dem pädagogischen Bereich nahmen an dem Austausch und Treffen mit internationalen ExpertInnen teil.
Die „Konferenz des Zusammenlebens" wurde heuer vom Integrationsressort in Kooperation mit dem Bildungsressort des Landes Steiermark veranstaltet. Im Fokus stand die Frage, wie das Bildungssystem mit einer vielfältiger werdenden Gesellschaft umgehen kann. Wie aktuell das Thema ist, bewies die Rekordzahl an TeilnehmerInnen: Mehr als 350 Menschen aus dem gesamten Bildungsbereich der Steiermark tauschten sich auf der Tagung aus.
"Vielfalt ist Realität"
Zu Beginn der Tagung skizzierte Integrationslandesrätin Bettina Vollath ihren Zugang zum Thema: „Vielfalt ist schon längst Realität in unserer Gesellschaft. Diese Vielfalt wird nicht mehr verschwinden, wir können sie auch nicht wegdiskutieren, wir sollen sie nicht ausblenden und wir brauchen die Vielfalt auch nicht schönzureden. Was wir können, ist mit dieser Vielfalt professionell umgehen und alle Pädagoginnen und Pädagogen dabei unterstützen", so Vollath.
Bildungslandesrat Michael Schickhofer bekräftigte sein Ziel, verstärkt Eltern bei den täglichen Herausforderungen zu unterstützen und die Stärken von jedem einzelnen Kind in den Mittelpunkt der Bildungsdebatte zu rücken. Zudem bekannte sich Schickhofer klar zur besseren Fort- und Weiterbildung für die PädagogInnen sowie zur frühen Sprachförderung.
"Jedes Kind ist wie eine Primzahl"
Neben intensiven Arbeitsgruppen zu Themen wie Sprachenvielfalt, Chancengleichheit und der Öffnung von Bildungsangeboten standen zwei renommierte Gäste im Mittelpunkt: Reinhard Kahl, Erziehungswissenschafter und Autor aus Hamburg, und Barbara Herzog-Punzenberger, Migrationsforscherin am Institut für Höhere Studien in Wien.
Kahl hielt mit einem launisch-fesselnden Vortrag unter dem Titel „Jedes Kind ist wie eine Primzahl" ein eindringliches Plädoyer für „eine Schule, in der alle verschieden sein dürfen" und für individualisierten Unterricht. Dass es sich hierbei um keine gänzlich neue Erkenntnis handeln dürfte, unterstrich Kahl mit dem Rückgriff auf ein 500 Jahre altes Zitat des französischen Schriftstellers, Arztes und Priesters Francois Rabelais: „Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entzündet werden wollen". Kahl sieht die Entwicklung zur Individualisierung als logische und notwendige Folge des Übergangs von der Industriegesellschaft zur Wissens-, Bildungs- und Kommunikationsgesellschaft, in der es nicht mehr um Normierung der Menschen gehen könne. Kahl rückte zudem die Themen Vertrauen, Leidenschaft und Zugehörigkeitsgefühl als Voraussetzungen für gute Bildungsinstitutionen in den Mittelpunkt: „Lernerfolge sind nicht durch den Lehrplan zu verordnen, sondern eher Nebeneffekte einer guten Atmosphäre."
"Wirkmächtiger sozio-ökonomischer Hintergrund"
Herzog-Punzenberger referierte über „Vielfalt in der Bildung als Ressource und Herausforderung" und machte klar, dass Diskriminierung dabei ein zentrales Problem ist. Dass die Herkunft entscheidender Faktor für Erfolg oder Misserfolg im heimischen Bildungssystem ist, sei hinlänglich bekannt. „Bedeutend wirkmächtiger als Kultur, Sprache und Religion ist aber der sozioökonomische Hintergrund, also die Schicht, aus der wir kommen", betonte Herzog-Punzenberger, die für früheren Kindergarten, Ganztagsschule und spätere Selektion plädiert. „Dies alles wird aber nur dann positive Auswirkungen haben, wenn die Qualität stimmt. Die Qualität hängt erstens mit der Professionalität des Personals zusammen, die durch geeignete Aus- und Weiterbildung sichergestellt werden muss. Zweitens muss auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen an den Schulstandorten eingegangen und entsprechend differenziert gefördert werden", so die Forscherin.
Wie diese Erkenntnisse in politische Strategien einfließen können, diskutierten in der abschließenden Podiumsdiskussion Andreas Schnider, der Vorsitzende des Entwicklungsrates für die PädagogInnenbildung NEU, gemeinsam mit Wissenschaftslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder, Landesrat Schickhofer, Landesrätin Vollath und Herzog-Punzenberger.
Abschließend zog Vollath ein zufriedenes Resume: „Die Vielfalt der TeilnehmerInnen und die Vielzahl der bereits erprobten Projekte und gemachten Erfahrungen, die wir heute kennenlernen durften, stimmen mich optimistisch für unseren steirischen Weg. Um das Bild von Reinhard Kahl zu verwenden: Ich bin überzeugt, dass wir heute viele Flammen entzünden konnten."
Martin Schemeth
Kernbotschaften aus den Arbeitsgruppen
Arbeitsgruppe 1
Bildungsstudien und gesellschaftliche Vielfalt
Mag.a Barbara Herzog-Punzenberger, Institut für Höhere Studien Wien
• Eine gut entwickelte Erstsprache ist eine gute Voraussetzung für den Bildungserfolg
• Die frühe Selektion in Österreich bringt keine Vorteile
• Eine gut entwickelte Willkommenskultur ist entscheidend für den Bildungserfolg
Arbeitsgruppe 2
Chancen(un)gleichheit und Bildung
Dr. Martin Gössl, Fachhochschule JOANNEUM
• Wissen um Gefahren und Benefits von Kategorisierungen
• Reflexion und Sensibilisierung
• Bildung wohin? Chancengleichheit
Arbeitsgruppe 3
„Netzwerk mehr Sprache" – Gemeinde wird zum Bildungsraum der Vielfalt
Andreas Holzknecht, MSc
- Der Unterricht in der Erstsprache ist zentral
- Deutsch ist die Zweitsprache – Es gilt, die Sprachenvielfalt bewusst wahrzunehmen
- Sprache lernt man am besten in der Gemeinschaft
Arbeitsgruppe 4
SCHULE – Eigenverantwortung versus Systemverantwortung
Mag.a Regina Senarclens de Grancy, Systemische Unternehmens- und Organisationsberaterin
• Eigenverantwortung und Systemverantwortung
• Schule öffnen für alle unterschiedlichen Professionen
• Änderung des Dienstrechts (Ganztagsmodelle, Teams ...)
• Beweglichkeit in der Finanzierung schaffen (eigene Budgetverwaltung)
Arbeitsgruppe 5
Vielfalt und Sprache
Katharina Lanzmaier-Ugri, Pädagogische Hochschule Steiermark
• Mehrsprachigkeit ist ein hoher Wert für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Lebensgestaltung
• Alle Sprachen sind gleichwertig
• Mehrsprachigkeit soll in der Gesellschaft zur Normalität werden
Arbeitsgruppe 6
Methoden für einen professionellen Umgang mit Vielfalt
Mag.a Julia Seyss-Inquart und Mag.a Rosemarie Ortner, Institut für Pädagogische Professionalisierung, Karl Franzens-Universität Graz
- Vielfalt sind wir alle, mehr als nur Migrationsbetroffene
- Ressourcen sind notwendig, es braucht ein klares politisches Bekenntnis
- Vielfalt in der pädagogisch Ausbildung - auf mehreren Ebenen berücksichtigen, angefangen bei den Ausbildungskriterien
Arbeitsgruppe 7
Öffnung der Bildungsangebote – Inklusion und Barrierefreiheit
HR Mag. Dr. Joachim Gruber, Direktor Bildungshaus Schloss Retzhof
- Charta des Zusammenlebens in Vielfalt als Grundlage nehmen und die Rahmenbedingungen zu deren Umsetzung schaffen
- Barrierefreiheit/Inklusion ist kein Projekt, sondern ein ständiger Prozess: Daher soll eine verlässliche Basisförderung die kurzfristige Projektförderung ablösen
- Bessere Vernetzung ist gefragt – das Faktum der Querschnittsmaterie soll sich in der Förderpraxis spiegeln
Arbeitsgruppe 8
Bildungsauftrag Frühe Sprachförderung
Jana Zacharias, Amt der Stmk. Landesregierung, A6 Referat Kinderbildung und -betreuung
- Bei den Potenzialen und Ressourcen der Kinder ansetzen – und nicht bei den Defiziten!
- Kindergarten ist eine unterstützende, familienbegleitende Bildungseinrichtung
Wie kann der Kindergarten Defizite aus dem Elternhaus ausgleichen? - Rahmenbedingungen für Pädagoginnen schaffen: KiGa-Pädagoginnen sollen Kinder in einem schönen Nest begleiten. Beziehungsarbeit steht im Vordergrund. Die Gruppengröße muss dem angepasst sein
- Kinder sind von Natur aus neugierig ... Aus Kindern, die zu wenig dürfen, werden Erwachsene, die zu wenig können.
- PädagogInnen werden durch zunehmende (Sicherheits-)Bestimmungen in ihrer Arbeit eingeschränkt
- Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen um Zusammenarbeit Kindergarten – Schule zu ermöglichen – mehr Transparenz
Arbeitsgruppe 1
Mag.a Barbara Herzog-Punzenberger, Institut für Höhere Studien Wien
• Eine gut entwickelte Erstsprache ist eine gute Voraussetzung für den Bildungserfolg
• Die frühe Selektion in Österreich bringt keine Vorteile
• Eine gut entwickelte Willkommenskultur ist entscheidend für den Bildungserfolg
Grundsätzlich lassen sich vier Funktionen einer Schule unterscheiden:
A) Die individuelle Funktion: Diese ist familiengeprägt, idiosynkratrisch
und auf Entfaltung ausgerichtet.
B) Die ökonomische Funktion mit den Merkmalen Stratifizierend, als Platzanweiser fungierend und Arbeitsmarktorientiert
C) Die kulturelle Funktion sieht die Schule homogenisierend, der Standardsprache und der Hochkultur zugetan.
D) Die politische Funktion betont die Faktoren Demokratie=Gleichheit, Rechtsstaat=Gerechtigkeit
Schule hat ausgehend von der familiären Prägung die Aufgabe, kulturell zu homogenisieren, Menschen für den Arbeitsmarkt auszubilden sowie die politischen Werte zu vermitteln. Die Frage lautet daher, wie die Balance zwischen diesen vier Feldern aussieht. Das kann in verschiedenen Ländern durchaus unterschiedlich sein, in manchen Staaten (etwa USA) wird das liberale Element hoch gehalten, in Ländern wie Österreich wird durch die frühe Selektierung sicherlich auch ein bestimmtes „Elitedenken" befriedigt, das Gymnasium war ursprünglich für 10% der SchülerInnen, also für die Eliten gedacht.
Eng damit hängt auch die Frage zusammen, wie viel Autonomie den Schulen zugestanden wird und wie viel zentrale Vorgaben gemacht werden. Der Bedarf nach Vergleichsstudien ist vor allem in den Ländern entstanden, wo man den Schulen hohe Autonomie zugesteht. Dort will man natürlich wissen, wie SchülerInnen in einem bestimmten Alter in den diversen Gegenständen bei Testfragen abschneiden, einerseits um eine gewisse Kontrolle zu behalten, andererseits aber auch, um aus guten Beispielen lernen zu können.
Untersuchungen zum „Wohlfühlfaktor", vor allem was das Thema „autoritär-antiautoritär" betrifft, zeigen keine klaren Ergebnisse. Verlaufsstudien von AbgängerInnen von Summerhill, dem antiautoritärem Experiment, zeigen im Schnitt keine signifikanten Abweichungen, die Streuung zwischen „Erfolgreichen" und „nicht Erfolgreichen" ist dort aber höher.
Weit verbreitet sind vor allem die Vergleichstests in der Altersgruppe der 15-jährigen, hier sind neben den durchschnittlichen Leistungen auch die Verteilungen interessant. So ist in Österreich beispielsweise der Anteil von SchülerInnen mit Leseschwierigkeiten mit 25% deutlich höher als in vielen anderen Ländern, vor allem aber weist Österreich trotz seiner frühen Selektion und dem „Elitedenken" keine signifikant höheren Anteile an SchülerInnen mit höherer Kompetenz aus als Länder mit einer Gesamtschule über die Grundschule hinaus - die Selektion mit 10 Jahren bringt offenbar nichts.
Vergleichsstudien zeigen übrigens auch, dass die Benotung keinen nennenswerten Einfluss auf die Ergebnisse hat.
Hoch angesehen ist im internationalen Vergleich das duale Ausbildungssystem in Österreich. Hier kann man allerdings beobachten, dass einerseits der Kampf um „fähige" Lehrlinge immer schwieriger wird, MigrantInnen in Österreich aber sehr schwer eine Lehrstelle bekommen und häufig in den überbetrieblichen Lehrstellen landen. So liegt etwa der Anteil an mehrsprachlichen Jugendlichen in der Berufsschule bei nur 9%, in der HAK aber bei 24%.
Ergebnisse in Kanada wiederum zeigen, dass eine hohe „Willkommenskultur" entscheidend für den weiteren Bildungserfolg ist. Dazu zählen eine positive Aufnahmekultur in der Gesellschaft, eine verstärkte parallele Förderung von ZuwanderInnen im Rahmen des gemeinsamen Unterrichts und auch, entgegen manchen Unkenrufen, ein bewusstes Pflegen der Erstsprache!
Eine Studie aus England kommt außerdem zu dem sehr interessanten Schluss, dass die Förderung der Kinder im Alter von 0 bzw. 1 bis 6 Jahren entscheidend für den weiteren Bildungserfolg ist. In Zukunft wird man Bildung also deutlich weiter denken müssen als man es bis jetzt weitgehend gemacht hat.
Arbeitsgruppe 2
Chancen(un)gleichheit und Bildung
Dr. Martin Gössl, Fachhochschule JOANNEUM
• Wissen um Gefahren und Benefits von Kategorisierungen
• Reflexion und Sensibilisierung
• Bildung wohin? Chancengleichheit
Diese sehr gut besuchte Arbeitsgruppe wurde von Dr. Martin Gössl, Fachkoordinator für Gleichbehandlung und Vielfalt der Fachhochschule Joanneum, geleitet. In seinem Einstiegsstatement ging er darauf ein, dass man die Diversitythematik durchaus mit Gender Mainstreaming vergleichen kann, die Übergänge dazwischen fließend sind. Diversity lasse sich nicht mit einer Checklist abarbeiten, da es sich um kein statisches Konstrukt handelt. Jede Gesellschaft bringt ihre eigenen definierten Normvorstellungen heraus, die sich dann im täglichen Leben abbilden. Je nach Rahmenbedingungen bzw. unterschiedlichen Settings ändern sich diese Wertvorstellungen aber dann auch. Dies alles bewirke, dass Diversität schwer fassbar ist.
An die TeilnehmerInnen des Workshops wurde die Frage gerichtet, ob bessere Instrumente bzw. Methoden nötig seien, um Diversität abzufragen? Wird dadurch dann aber im Gegenzug nicht erst recht der Fokus auf gewisse Merkmale gelegt und die Diskriminierung verstärkt?
Die Teilnehmenden der Arbeitsgruppe diskutierten rege die Fragen, in der eingebracht wurde, dass es vieles erleichtert, in Kategorien zu denken, dies aber häufig eine Diskriminierung bewirke. Vielfach bestehe auch das Problem, dass über Diskriminierte geredet wird und nicht mit ihnen. Den diskriminierten Gruppen werde quasi „von oben herab" Hilfe angeboten, was wiederum neben der Hilfeleistung gleichzeitig eine Degradierung bewirke und ein Hierarchiegefälle impliziere. Bei den Betroffenen selbst bewirke dies zwei mögliche Reaktionen: zu resignieren, in der Position der Diskriminierten zu verbleiben oder aber „aufzustehen", sich offensiv dagegen zur Wehr zu setzen. Die Gruppe war sich einig, dass es besonders wichtig sei, Betroffene in Diskussionen und Entscheidungsprozesse mit einzubinden.
Weiters wurde aus Sicht der Schule die Forderung erhoben, dass die Politik gefordert sei, Rahmenbedingungen zu ändern: derzeit sind die Schulen in Zugzwang, Schüler zu kategorisieren, weil damit Kapazitäten verbunden werden (z. B. SPF-Einstufungen, in einzelnen Schulen Einstufung aller SchülerInnen mit Migrationshintergrund als außerordentliche SchülerInnen, um Stundenkontingente zu erhöhen,...). Auch bei der Forderung nach Reformen antworte die Politik mit der Frage nach Zahlen, wie lässt sich diese Reform fordern? Um diese Zahlen liefern zu können, müsse man dann wiederum Kategorien/Gruppen bilden. Dabei werde aber dann nicht unbedingt die Gruppe gebildet, die den höchsten Bedarf einer Unterstützung habe, sondern jene, die über die stärkste Lobby verfügten. Die in dem Zusammenhang von den ArbeitsgruppenteilnehmerInnen kritisierte Gruppenbildung würde sich auch in vielen Förderkriterien für Subventionen widerspiegeln, in denen ganz klare Zielgruppenvorgaben gegeben sind. Auch hier sein ein offenerer Zugang förderlich, wobei ein Teil der Teilnehmenden hier aber die Meinung vertrat, dass eine gewisse Zielgruppenfixierung auch durchaus Sinn macht, weil damit die begrenzten Mittel genau dieser bedürftigen Gruppe zur Verfügung stünden. Als positives Beispiel wurde die Schulsozialarbeit genannt, die ganz bewusst auf jede Kategorisierung verzichtet und sich an alle Schülerinnen und Schüler richtet! Ein negatives Beispiel für Zielgruppenfixierung bildeten im Gegenzug dazu Sprachkurse, die nur Kindern mit Migrationshintergrund angeboten werden. Die Sprachstandserhebungen würden aber zeigen, dass nicht wenige Kinder mit Erstsprache Deutsch auch den Bedarf hätten. Dies sei ein gutes Beispiel, wie dieses Denken in Kategorien die Gesellschaft entsolidarisieren könne.
Arbeitsgruppe 3
„Netzwerk mehr Sprache" - Gemeinde wird zum Bildungsraum der Vielfalt
Andreas Holzknecht, MSc
Wichtigste Erkenntnisse aus dem Vorarlberger Projekt ("Sprachfördernetzwerk Nenzing" in den Gemeinden Nenzing, Hard, Rankweil, Frastanz und Wolfurt):
- Der Unterricht in der Erstsprache ist zentral
- Deutsch ist die Zweitsprache - Es gilt, die Sprachenvielfalt bewusst wahrzunehmen
- Sprache lernt man am besten in der Gemeinschaft
Die Ausgangsfrage war: „Wie können Kinder so gut Deutsch lernen, dass sie dem Unterricht folgen können?"
Eine Vorarlberger Delegation aus der 6000 Einwohner zählenden Gemeinde Nenzing hat vor einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen und in Bayern nachhaltige Projekte kennengelernt und dann in Vorarlberg umgesetzt. Das Projekt in Nenzing ist heuer, 2013, im vierten Jahr und hat viele Erfahrungen gebracht. Diese sind in eine Programmschiene eingeflossen, die als kommunale Entwicklungsprojekte für „Netzwerk mehr Sprache" konzipiert wurde. Seither wurden bzw. werden vier Gemeinden (Hard, Rankweil, Frastanz, Wolfurt) in einer Größe von 6.000 bis 12.000 Einwohner in diesem Netzwerkaufbau begleitet. Entwickelt hat sich daraus das Sprachfördernetzwerk Nenzing. In der Steiermark ist Knittelfeld dabei, ein ähnliches Projekt umzusetzen.
Ein Kind ist ca. 55.000 Stunden alt, wenn es in die Schule kommt – rund 4.000 Stunden davon hat es im Kindergarten verbracht. Was, wo und mit wem hat das Kind die restlichen 51.000 Stunden gelernt?
Spricht man von Sprache, so spricht man vom Leben und nicht von etwas Zusätzlichem. Niemand lernt etwas aus dem Nichts heraus sondern immer in Zusammenhängen. Wir Menschen lernen manches in therapeutischen Settings, aber bei weitem nicht alles.
So werden neue Möglichkeiten nur wirksam, wenn sie an andere Erfahrungen anknüpfen können. Deshalb ist in dem Gemeindeprojekt „Netzwerk mehr Sprache" das Netzwerk-Thema wichtiger als das Sprach-Thema.
Sieben Qualitätsleitsätze eines lokalen Sprachfördernetzwerkes
1. Früh beginnen
Das Thema der „Frühen Sprachförderung" soll für Familien mit Kleinkindern, unabhängig von deren Erstsprache, ein alltägliches und präsentes sein. Der Elternbildung wird besondere Bedeutung beigemessen.
2. Kinder in Kindereinrichtungen intensiv fördern
Frühe Sprachförderung und interkulturelle Pädagogik stellen in allen Kindereinrichtungen (von 0 bis 10 Jahren) verlässliche und verbindliche Angebote dar.
3. Sprachförderung im Kontext von Mehrsprachigkeit
Die Entwicklung der Sprachlust und der Neugierde auf andere Sprachen ist ein zentrales Anliegen. Die Mehrsprachigkeit der Kinder wird bei der Sprachförderung als Ressource für die Schaffung von Sprachbewusstsein für alle Kinder berücksichtigt. Die Förderung der vorschriftsprachlichen Fähigkeiten sowie des Sprachbewusstseins als Basis für die spätere Entwicklung der Bildungssprache Deutsch steht im Zentrum.
4. Kooperation mit Eltern
Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist im Bereich „Frühe Sprachförderung" eine zentrale Notwendigkeit. Diese soll in Kindereinrichtungen so organisiert und angeboten werden, dass die Eltern im Rahmen ihrer Möglichkeiten (Sprachkenntnisse und Bildungsgrad) festgelegte und definierte Aufgaben übernehmen.
Elternbildung braucht ein hohes Niveau und Verlässlichkeit (= echt schwierig).
5. Qualifizierung der Mitarbeiter/innen
Pädagogische MitarbeiterInnen von Kindereinrichtungen in den Bereichen „Sprachentwicklung und Frühe Sprachförderung", „interkulturelle Pädagogik" und „neue Formen der Zusammenarbeit mit Eltern" brauchen fachlich gute Grundlagen.
6. Vernetzung aller Beteiligten
In den Kommunen gibt es viele Akteure - die aber selten akkordiert arbeiten. Alle Institutionen und Akteure in einer Gemeinde, die sich im Bereich „Frühe Sprachförderung" engagieren können, sollen vernetzt und inhaltlich akkordiert arbeiten.
Im Netzwerk Nenzing arbeiten derzeit 120 Personen aktiv mit. Die Organisationen sind dabei tragende Säulen:
Kindergärten, Volksschule, Mittelschule, Bibliothek, Gemeindearzt, Mimosa Frauenverein, Caritas Flüchtlingshilfe, Jugendtreff, Spielothek, Familienverband, Pfarrcaritas, ATIB (türk. Verein), Gemeinde (Bildung, Soziales, Kultur usw.), Volkshochschule, Brückenbauerinnen, Kinderhaus
7. Dokumentation und Evaluation
Die Dokumentation und Evaluation der gesetzten Maßnahmen dient der Qualitätsentwicklung und der Qualitätssicherung im Bereich „Frühe Sprachförderung." Die Sprachentwicklung der Kinder soll hier besonders genau beobachtet und regelmäßig dokumentiert werden (z.B. durch die Anwendung von Sismik-Bögen).
Ablauf
I. Einstiegsphase (4 bis 6 Monate)
- Kerngruppe (6 bis 15 Personen) erarbeitet ein Grundlagenpapier
- Politik berät und beschließt (Budget)
- Die sieben Qualitätsleitsätze (siehe oben) bilden den Roten Faden
- Verwaltung und Politik übernehmen von Anfang an klar Verantwortung für den Prozess und tauchen fachlich immer mehr in das Thema ein.
II. Entwicklungsphase (12 Monate)
- Konzeptentwicklung in Arbeitsgruppen mit Beteiligten
- Start durch eine große, öffentliche Kick-Off-Veranstaltung
III. Umsetzungsphase (fortlaufender immerwährender Prozess)
- Als lernender Prozess
- Die Gemeinde hat eine klare Zuständigkeits- und Verantwortungsstruktur geschaffen: Es gibt eine zentrale Anlaufstelle im Rathaus
- Die Erfassung der Aktivitäten, die Dokumentation und Evaluation der Maßnahmen sind organisiert. Die Auswertung dieser Daten ist Teil des fortlaufenden Weiterentwicklungsprozesses.
Buchtipp:
Elke Schlösser, Zusammenarbeit mit Eltern - interkulturell. Informationen und Methoden zur Kooperation mit deutschen und zugewanderten Eltern in Kindergarten, Grundschule und Familienbildung. Münster, Ökotopia 2004
Referenzprojekte
Die Entwicklung des Konzeptes für die lokalen Sprachfördernetzwerke wurde wesentlich durch folgende Referenzprojekte im deutschsprachigen Raum beeinflusst:
"FÖRMIG - Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund", ein von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung gefördertes Modellprogramm in deutschen Bundesländern:
Qualität in multikulturellen Schulen (QUIMS), ein Projekt des Kantons Zürich: http://www.volksschulamt.zh.ch/internet/bi/vsa/de/Schulbetrieb/QUIMS.html
Sprachfreude Nenzing:
http://www.marktgemeindenenzing.com/index.php/Bildung__Soziales/Projekt_Sprachfreude/
Arbeitsgruppe 4
Mag.a Regina Senarclens de Grancy, Systemische Unternehmens- und Organisationsberaterin
• Eigenverantwortung und Systemverantwortung
• Schule öffnen für alle unterschiedlichen Professionen
• Änderung des Dienstrechts (Ganztagsmodelle, Teams ...)
• Beweglichkeit in der Finanzierung schaffen (eigene Budgetverwaltung)
Eckpunkte zu den Arbeitsgruppen:
• Zentrales Thema: Reflexion über einen professionellen Umgang mit Vielfalt im eigenen Wirkungsbereich, betrachtet aus unterschiedlichen Perspektiven und zu unterschiedlichen Aspekten
• Schwerpunkte: Vielfalt als Ressource und Herausforderung, barrierefreie Bildung
• Diskussion von Standpunkten, Erfahrungen und Sichtweisen
• Voneinander lernen, Vernetzen für den Alltag
Anmerkung der Moderatorin: Eigenverantwortung und Systemverantwortung - beides ist im System Schule wichtig und notwendig.
Brainstorming-Ergebnisse zur Eigenverantwortung:
• Wunsch: Personalauswahl
• Sichtbarmachen der Vielfalt
• Möglichkeiten schaffen
• in Generationen und viel Zeit denken
• Was bildet und was bildet mich?
• Wahrnehmung oft ins Wort nehmen
• „Altes" muss „brechen", nicht nur Neues dazu - aber es muss Platz haben
• Potenziale heben, leben
• Mutig sein - ermutigen, etwas aufzeigen auch wenn es abweicht
• Glückstagebuch
• Stärken der Stärken - therapeutische Haltung
• neugierige Haltung
• sich selbst öffnen
• eigene Überheblichkeit überdenken (LehrerInnen und Eltern)
Brainstorming-Ergebnisse zur Systemverantwortung:
• System öffnen
• Prozesshaftes Denken fördern - In Generationen und großen Zeiträumen denken
• Mehr Handlungsspielraum für Direktionen (Finanzierung, Personalauswahl)
• Lösen vom Lehrplan, Handlungsfreiheit ermöglichen - Lernangebote statt Zwang für alle
• Marktangebot für alle Platz für jeden (Arbeitsmarkt, Spielmarkt..), Unterricht als Markt, Angebot, vielfältiges Angebot
• Sichtbarmachen der Vielfalt
• Coaching und Supervision für Lehrende
• Schulgeld-Freiheit
• Private Betreiber: mehr Unterstützung
• Team und Lehrende haben einen Ganztagsberuf - Infrastruktur anpassen
Anmerkungen:
Kinder und Jugendliche sollten im Zentrum der Diskussionen und Interventionen stehen.
Es besteht auch eine Eigenverantwortung des Systems und diese muss auch wahrgenommen werden.
Kann man nicht das ganze System dem System überlassen? - Selbstorganisation des Systems. Haben wir das verlernt?
Wenn man sich für eine Maßnahme entscheiden könnte, die einen echten Unterschied zum Heute machen würde, was wäre das für eine?
• Verschränktes Schulangebot (ganzen Tag frei gestalten, freies Essen) - muss für den Standort passend sein
• Radikale Öffnung der Schulen - Ansatz: Schulsozialarbeit, die Schule ist für alle offen
• Ehrenamt sinnvoll organisieren, Drittmittelfinanzierung, Sponsoring
• Rasche Änderung des Dienstrechtes: Verpflichtende Teamsitzungen, längere Anwesenheitszeiten für alle Lehrenden
• Aufmachen für ExpertInnen (TheaterpädagogInnen...) - darüber hinaus lernen
• Entschleunigung, Ganztagsgestaltung, Entrümpelung der bisherigen Inhalte,
• Ausweitung von Gewaltprävention an den Schulen: Helfersystem einbinden und nutzen
• Lehrende, Kinder und Eltern klären gemeinsam Aufträge, Lehrende holen sich Aufträge von Kindern
• Vermittlung eines positiven und hoffnungsvollen Bildes von Schule, Schule ist besser als ihr Ruf und Schule ist Chance, Bewusstseinsänderung
• Barrieren fallen lassen, Durchlässigkeit
• Ressourcen ermöglichen Beweglichkeit vor allem auch finanzielle Ressourcen z.B. autonomes Budget
• Gebundenes Geld frei geben. Was brauchen wir? Was nicht?
• Bildung muss etwas wert sein, Sicherung von Finanzierungen.
• ALLE sind Schule und diese müssen eingebunden werden, Teilen der Verantwortung
Arbeitsgruppe 5
Vielfalt und Sprache
Katharina Lanzmaier-Ugri, Pädagogische Hochschule Steiermark
• Mehrsprachigkeit ist ein hoher Wert für die Persönlichkeitsentwicklung und für die Lebensgestaltung
• Alle Sprachen sind gleichwertig
• Mehrsprachigkeit soll in der Gesellschaft zur Normalität werden
Herstellen von Betroffenheit
Wie viele Sprachen sind in Ihrer Familie verschwunden, von denen Sie wissen, dass es sie gegeben hat?
Als Sprachen, die verloren gingen, wurden von den 13 (!!!) TeilnehmerInnen Ungarisch, Tschechisch, Burgenlandkroatisch, Albanisch, Südtirolerisch, Windisch und Slowenisch genannt.
Wie viele Sprachen hören Sie in Ihrer Wohnumgebung?
Einige TN leben in einem rein deutschsprachigen Umfeld, andere leben in einer Wohnumgebung, in der mehrere Sprachen (Kroatisch, Türkisch, Russisch, Kosovo-Albanisch)gesprochen werden.
Wie viele Sprachen hören Sie im beruflichen Umfeld?
Auch hier gab es sehr unterschiedliche Ergebnisse, wobei die Spannbreite von einer bis zu ca. 50 Sprachen reichte. Die Aufstellungen zu den Fragen zeigten die Vielfalt in der Gruppe und waren erster Anlass sich über das Thema auszutauschen.
Im Rahmen eines Worldcafé diskutierten die TN Fragen und Aussagen und kamen zu folgenden Ergebnissen:
1. Gründe, die für eine Förderung der Mehrsprachigkeit sprechen
• Mehrsprachigkeit ist ein hoher Wert, sie erweitert den Horizont und erhöht angesichts der Globalisierung die Chancen im Beruf.
• Keine Hierarchie der Sprachen, wie das oft der Fall ist! Die Gleichwertigkeit aller Sprachen ist ganz wichtig.
• Die Erstsprache/n ist/sind wichtig, in unserer Gesellschaft kommt es oft zur Entwertung von manchen dieser Sprache/n, was von den Betroffenen oft als Entwertung ihrer Person, Herkunft und/oder ihrer Wurzeln wahrgenommen wird und sich auf ihren Selbstwert auswirkt. Auch deshalb ist die gleichwertige Behandlung/Akzeptanz aller Sprachen sehr wichtig. Aus diesem Grund muss/müssen die Erstsprache/n aufgewertet werden und das Erlernen derselben.
• Die Erstsprache/n ist/sind nicht nur Familienangelegenheit. Oft heißt es, die Erstsprache/n müsse/n in der Familie gefördert werden, aber das ist nicht immer möglich. Es müsste auch Sache der Gesellschaft und der Schule sein, auch andere Erstsprache/n als Deutsch zu fördern.
• Mehrsprachigkeit steigert die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten, sie soll aufgewertet werden, anstatt die Erstsprache/n abzuwerten.
• Mehrsprachigkeit sollte möglichst früh gefördert werden.
• Mehrsprachigkeit ist ein hoher Wert für die Persönlichkeit und die Lebensgestaltung.
• Der Klang neuer Sprachen fördert Neugier und Offenheit.
Zur Gleichwertigkeit aller Sprachen: Als Beispiel nennt die WS-Leiterin ein dreijähriges Kind, das gut Englisch spricht und dafür bewundert wird – im Gegensatz zu einem Kind, das fließend Albanisch oder Türkisch spricht und dafür keine Anerkennung und somit auch keine positive Verstärkung im Alltag erfährt.
In Österreich ist der muttersprachliche Unterricht im Lehrplan verankert (Der Begriff Muttersprache wird im fachlichen Kontext nicht mehr verwendet, sondern der Begriff Erstsprache/n. Dieser Begriff kommt auch immer häufiger in Formularen vor).
Ursprünglich war der Gedanke der, dass die Kinder, wenn sie nach einigen Jahren, in denen ihr Vater als Gastarbeiter in Österreich gearbeitet hat, in die Herkunftsländer zurückkehren, dort Anschluss finden in der Schule.
Im muttersprachlichen Unterricht werden österreichweit heuer 25 Sprachen angeboten. Es gibt klare Regelungen dafür. Es wird darauf hingewiesen, dass auch in diesem Bereich gespart wird, obwohl alle sagen, dass die sprachliche Entwicklung von größter Bedeutung sei. Organisatorisch besteht eine Diskrepanz zwischen muttersprachlichem Unterricht auf dem Land und in der Stadt.
Derzeit unterrichten in Österreich muttersprachliche LehrerInnen ("native speaker"), die in ihrem Herkunftsland eine mehr oder weniger gute pädagogische Ausbildung bekommen haben. Das war bis dato die Grundvoraussetzung, um unterrichten zu dürfen. Drei österreichische Hochschulen wurden beauftragt, professionelle Mehrsprachigkeitslehrgänge für ErstsprachenlehrerInnen zu entwickeln. Zurzeit läuft ein diesbezüglicher Pilotlehrgang; es werden aber auch elektronische Systeme getestet.
Mehrsprachigkeit ist im Schulsystem relativ neu. Aber es tut sich was und es geht darum, mit dem Thema professionell umzugehen.
2. Ist Mehrsprachigkeit eine Chance/ein Problem/ein Recht?
• Mehrsprachigkeit wurde in der Gruppe als Chance gesehen, um einfach einander zu verstehen und von anderen verstanden zu werden.
• Sie ist eine große Bereicherung für das Leben und praktisch fürs alltägliche Leben (Wirtschaft, Arbeit, Reisen etc.)
• Problematisch ist die fehlende Akzeptanz in der Gesellschaft. Viele Menschen lernen Deutsch, sie haben aber einen Akzent und das wirkt oft stigmatisierend.
• Deutsch wird oft überbewertet.
• Mehrsprachigkeit ist ein Recht.
• Kinder aus Familien, die nach Österreich kommen, sollen das Geburtsrecht haben, ihre Erstsprache/n gut zu lernen.
Anmerkungen der WS-Leiterin:
Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Namen (z.B. türkische), negativ auswirken, auch wenn sie noch so gut Deutsch können. Als Beispiel führte die WS-Leiterin den Fall eines Dari sprechenden Mädchens an, das die 4. Klasse einer NMS besucht und Elektrikerin werden will, trotz sehr guter Deutschkenntnisse keinen Praktikumsplatz bekommt.
Es spielt eine große Rolle, wie in den Familien mit dem Thema umgegangen wird (Anpassungsdruck).
Was sehr wichtig wäre, ist mehr Arbeit mit den Eltern bezüglich Aufklärung über den Umgang mit Mehrsprachigkeit und ebenso über die Wichtigkeit der Erstsprache/n.
3. Mehrsprachigkeit heißt auch mehr Verwirrung, mehr Unsicherheit, mehr Fehler.
• Diese Aussage wurde von den TN großteils abgelehnt, Mehrsprachigkeit eröffnet Chancen, erweitert den Horizont und ist positiv.
• (Eine) gefestigte Erstsprache/n ist/sind das Fundament für das Erlernen weiterer Sprachen.
• Es braucht ein sprachliches Selbstbewusstsein für Kinder.
• Mehrsprachigkeit führt nicht automatisch zu Verwirrung.
• Mehrsprachigkeit soll als Ressource in Kinderbetreuungseinrichtungen genutzt werden, es muss keine Angst vor Verwirrung geben.
• Es kommt vor, dass deutschsprachige Menschen, wenn sie verschiedene Sprachen hören und diese nicht verstehen, das Gefühl haben, dass über sie gesprochen wird (psychologischer Aspekt).
• In manchen Grazer Wohnvierteln werden viele Sprachen gesprochen. Oft wird von Deutschsprachigen nicht differenziert und das, was fremd klingt, wird reflexartig dem Türkischen zugeordnet.
Anmerkung der WS-Leiterin: Ein interessantes Phänomen ist, dass wir die Mehrsprachigkeit woanders positiv erleben (London, New York), im Wohnort jedoch nicht.
Von der Gruppe wurden folgende drei Kernaussagen formuliert:
1. Mehrsprachigkeit ist ein hoher Wert für die Persönlichkeit und die Lebensgestaltung.
2. ALLE Sprachen sind gleichwertig.
3. Mehrsprachigkeit soll in unserer Gesellschaft Normalität werden.
Arbeitsgruppe 6
Mag.a Julia Seyss-Inquart und Mag.a Rosemarie Ortner, Institut für Pädagogische Professionalisierung, Karl Franzens-Universität Graz
- Vielfalt sind wir alle, mehr als nur Migrationsbetroffene
- Ressourcen sind notwendig, es braucht ein klares politisches Bekenntnis
- Vielfalt in der pädagogisch Ausbildung – auf mehreren Ebenen berücksichtigen, angefangen bei den Ausbildungskriterien
Die meisten TeilnehmerInnen fühlen sich von der Aussage „Vielfalt ist eine Ressource, die meine Institution nutzen sollte" angesprochen.
Es wurde betont, dass es gelte Vielfalt anzuerkennen, dass dafür jedoch auch Ressourcen erforderlich sind. Vielfalt soll positiv angenommen und kommuniziert werden.
Derzeit sei der Begriff der „Vielfalt" stark migrationslastig. Der Begriff „Vielfalt" soll daher neu abgeglichen werden.
• Das Schreckgespenst soll neutralisiert werden
• Begriffe wie „Migration", „Integration" sind eher negativ besetzt – es soll verstärkt werden, dass Vielfalt positiv besetzt ist
• Aktive Bewusstseinsbildung ist erforderlich
• Es gelte grundsätzlich mit dem Wording aufzupassen
Die Möglichkeiten und die der Vielfalt zugrunde liegenden Ressourcen sollen betont werden. Vorsichtig solle man sein bei einer Kategorisierung in „normal und vielfältig" – wodurch „vielfältig" zu einem Synonym für Migration werden könne. Es gilt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jeder in sich vielfältig ist – in Hinblick auf Alter, Schicht, Herkunft, persönliche/innere Vielfältigkeit usw.
Folgende Strategien zum Umgang mit Vielfalt wurden diskutiert:
• Schaffen einer persönlichen Betroffenheit und von Akzeptanz
• Sensibilisieren = Ein G´spür bekommen; Vielfalt soll erfahrbar werden
• Partizipation
• Reflexion Selbstbild: Wie bin ich und wie bin ich verankert?
• Außenkommunikation: Mit positiven Beispielen kommunizieren (angeführt wurde etwa, dass es wichtig ist, spezielle Service- oder auch Bildungsangebote nicht auf eine bestimmte Zielgruppe/„Ausgewählte" zu beschränken, sondern für alle anzubieten um niemanden auszuschließen)
o Positive Kommunikation durch Vorbilder bzw. Role Models
o Best Practice Beispiele
o Beteiligungs- und bedürfnisorientierte Prozesse
o Sichtbarmachung von Prozessen, Transparenz
o Wertschätzung für gelungene Ansätze bzw. Konzepte und vor allem der Menschen dahinter
Die Arbeitsgruppe sieht folgende Herausforderungen im Umgang mit Vielfalt:
• „Vielfalt" darf nicht zum neuen Migrationsbegriff werden
• Vielfalt muss auf die gesamte Organisation bzw. Institution umgelegt werden – innen und nach außen, denn so wie intern mit Vielfalt umgegangen wird, strahlt es auch nach außen.
o Vielfalt muss als Querschnittsmaterie betrachtet werden.
o Vielfalt muss gelebt werden – nach innen und nach außen.
o „Vielfalt" soll sich nicht nur auf die konkreten Zuständigen beschränken (Stichwort: Feigenblatt Integrationsbeauftragter), sondern alle Institutionsmitglieder (also auch Kindergarten, Bürgerservice usw.) umfassen
• Eine große Herausforderung wird in der Erfüllung sozialer Erwartungshaltungen gesehen
Es müsse darauf geachtet werden, dass eine Definition von Begriffen nicht auf einer zu abstrakten Ebene erfolgt. Vielmehr ist es wichtig, auf den Menschen zuzugehen; die Person soll wahrgenommen werden.
Folgende Forderungen an die Politik wurden formuliert:
• Ein klares politisches Bekenntnis zur Vielfalt!
• Mehr Ressourcen: Geld, Zeit. Es soll ein Fundament für die Arbeit geschaffen werden.
• Es sollen nicht nur kurzfristige Lösungsansätze angedacht und umgesetzt werden.
• Mehr Wertschätzung von Menschen, die etwas für die Gemeinschaft tun
Vielfalt auf pädagogischer Ebene
Vielfalt funktioniere nicht von selbst – es braucht eine gewisse Aufmerksamkeit um Menschen und deren Bedürfnisse wahrzunehmen, wozu es wiederum einen Rahmen braucht.
Strategien:
• offen sein
• Vielfalt der BetreuerInnen um eine persönliche Beziehung zu gewährleisten
• Kreative Methoden
• künstlerischer Anspruch
• künstlerisches Interesse
• Individualität und Gemeinschaft sind gleich wichtig
• Erlebnis
• Ressourcen / Fähigkeiten wertschätzen und nutzen
• Vorbild sein
• Vertrauen
• Lokal und global denken
• Freiwilligkeit und partizipative Haltung und Methoden
• Bedürfnisse wahrnehmen und darauf eingehen
Herausforderungen:
• Vielfalt der Bedürfnisse
• Interdisziplinäres Team
• Innovative Ansätze in etablierten Systemen (Schule, AMS ...)
• Finanzierung
• Administration
• (Frei-) Zeit
• Zugangsbeschränkung
Politische Forderung: Vielfältigkeit des pädagogischen Teams; guter Betreuungsschlüssel
Arbeitsgruppe 2: Vielfalt im Kollegium bzw. im Team
Betont wurde, dass der Umgang mit Vielfalt früher angesetzt gehöre - schon ab der Geburt; Kinder sollten nicht in Schubladen gesteckt werden; in Kindergärten gebe es noch oft gelebte Vielfalt, jedoch nicht mehr in Schulen.
Strategien:
• Kommunikation
• Konfliktbereitschaft
• Das Individuum sehen
Vielfalt in Organisationen bzw. Institutionen
Gefordert wurde, dass sich die Personalpolitik von Organisationen an der Realität orientieren solle. Vielfalt soll täglich erlebbar sein.
Strategien:
• Verankerung von interkultureller Vielfalt im Leitbild
• Offensive Einstellungspolitik für Vielfalt im Team
Herausforderung:
• Bewusstseinsbildung in allen Ebenen und Bereichen (Mainstream, Top down)
Forderung an die Politik:
• Personalpolitik soll sich an der Vielfalt der Gesellschaft orientieren (Bsp. Vorbildwirkung öffentliche Verwaltung)
• Anonymisierte Bewerbungen
Arbeitsgruppe 7
Hofrat Mag. Dr. Joachim Gruber, Direktor Bildungshaus Schloss Retzhof
- Charta des Zusammenlebens in Vielfalt als Grundlage nehmen und die Rahmenbedingungen zu deren Umsetzung schaffen
- Barrierefreiheit/Inklusion ist kein Projekt, sondern ein ständiger Prozess: Daher soll eine verlässliche Basisförderung die kurzfristige Projektförderung ablösen
- Bessere Vernetzung ist gefragt - das Faktum der Querschnittsmaterie soll sich in der Förderpraxis spiegeln
Barrierefreiheit bedeutet in jedem Fall mehr als Rampen in Gebäude zu bauen. Neben Menschen mit Beeinträchtigungen sehen sich auch MigrantInnen einer Vielzahl an Barrieren gegenüber, die es zu beseitigen gilt (Sprache, Akzent, Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, Diplomen usw.). Ob Bildungseinrichtungen, Eltern-Kind-Zentren, Musikschulen, Theater oder Landesstellen: Barrierefreiheit und Inklusion sind Querschnittsthemen in jeder Organisation.
Die Intensität der Auseinandersetzung mit dem Thema Barrierefreiheit ist von Einrichtung zu Einrichtung stark unterschiedlich. So ist in den Steirischen Bibliotheken Barrierefreiheit ein aktuelles und großes Thema, nicht zuletzt in Zusammenhang mit dem Aktionsplan des Landes Steiermark zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention.
Hingegen wird in den steirischen Musikschulen die Barrierefreiheit aktuell nicht vorrangig diskutiert, diese sind für alle Kinder und Jugendlichen offen und werden gut ausgelastet genutzt. Leider ist es durch die aktuellen Förderrichtlinien und die Kürzung finanzieller Zuwendungen nicht möglich, die Musikschulangebote auch Erwachsenen zugänglich zu machen, obwohl der Bedarf gegeben wäre.
Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zu Barrierefreiheit ist nicht einfach. Es gibt in der Steiermark die Charta des Zusammenlebens in Vielfalt, die ernst zu nehmen ist. Die Charta ist allerdings allgemein formuliert und es ist schwer, konkrete Umsetzungsschritte daraus abzuleiten. Wünschenswert wären Leistungskataloge, ein klarer politischer Auftrag an die Abteilungen und Organisationen, sowie eindeutige Zuständigkeiten und Ansprechpersonen.
Es werden klare Rahmenbedingungen zur Umsetzung benötigt, wobei beteiligte Organisationen und Betroffene partizipativ in deren Entwicklungen einzubeziehen sind.
Nicht nur das Beseitigen der bestehenden Barrieren ist notwendig, auch das offene Ansprechen bisher ausgeschlossener bzw. nicht berücksichtigter Personen und Personengruppen ist wichtig. Ein best-practice Beispiel bietet hierzu das Bildungshaus Schloß Retzhof: Im Bildungsprogramm sind alle Angebote speziell gekennzeichnet. Diese Kennzeichnungen zeigen den KundInnen an, auf welche besonderen Bedürfnisse das Bildungshaus gegebenenfalls bereits vorbereitet ist. Die Kennzeichnung der einzelnen Kurse wird gemeinsam mit den jeweiligen TrainerInnen/Vortragenden festgelegt, auch das Personal des Bildungshauses ist mit Basiswissen zu Barrierefreiheit ausgestattet.
Wichtige Kernaussagen sind hier:
-
Die Vielfalt der Bevölkerung sollte sich in jeder Organisation widerspiegeln.
-
Es soll nicht von Zielgruppen ausgegangen werden, sondern von den Bedürfnissen der verschiedenen Menschen.
-
Um Vielfalt und Barrierefreiheit umsetzen und leben zu können, bedarf es auch günstigerer Förderbedingungen: Barrierefreiheit ist ein Prozess, kein Projekt. Daher ist ein Wandel von einer zunehmend unsicheren Projektförderung hin zu längerfristiger und nachhaltigeren Strukturförderung erforderlich.
Eine weitere Problematik die Förderungen/Finanzierung betreffend ist, dass unterstützende Leistungen der Bildungsinstitutionen (wie z. B. Dolmetschleistungen in Gebärdensprache) nicht berücksichtigt werden. Kosten und Aufwand für diese zusätzlichen Angebote sind aktuell von der anbietenden Einrichtung allein zu tragen, was unter den aktuellen Bedingungen kaum zu bewältigen ist.
Hilfreich wäre zudem eine bessere und stabile Vernetzung zwischen den Organisationen und zu ExpertInnen, zu bereits bestehenden Beratungsstellen und relevanten Projekten.
Angesprochene Papiere:
• Charta des Zusammenlebens in Vielfalt
• Aktionsplan des Landes Steiermark zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention
Arbeitsgruppe 8
Jana Zacharias, Amt der Stmk. Landesregierung, A6 Referat Kinderbildung und -betreuung
- Bei den Potenzialen und Ressourcen der Kinder ansetzen – und nicht bei den Defiziten!
Kindergarten ist eine unterstützende, familienbegleitende Bildungseinrichtung - Wie kann der Kindergarten Defizite aus dem Elternhaus ausgleichen?
- Rahmenbedingungen für Pädagoginnen schaffen: KiGa-Pädagoginnen sollen Kinder in einem schönen Nest begleiten. Beziehungsarbeit steht im Vordergrund. Die Gruppengröße muss dem angepasst sein
- Kinder sind von Natur aus neugierig ... Aus Kindern, die zu wenig dürfen, werden Erwachsene, die zu wenig können.
- PädagogInnen werden durch zunehmende (Sicherheits-)Bestimmungen in ihrer Arbeit eingeschränkt
- Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen um Zusammenarbeit Kindergarten ¯ Schule zu ermöglichen – mehr Transparenz
Bildungsauftrag: Frühe Sprachförderung
1) Kann der Kindergarten Defizite aus dem Elternhaus ausgleichen?
Die Fragestellung entspricht nicht dem pädagogischen Zugang der frühen Sprachförderung, da diese bei Potentialen und nicht bei Defiziten ansetzt.
Die Unterscheidung von Sprachentwicklungsverzögerung und Sprachförderung ist wichtig. Bei ersterem braucht es v.a. mehr LogopädInnen und SprachheillehrerInnen an den Institutionen - hier ist die Politik gefordert, Stellen zu schaffen.
Es bedarf mehr muttersprachlicher Förderung, um die Grundlage für den Erwerb von Deutsch als Zweitsprache zu erlangen.
Kindergarten kann nicht ausgleichen, sondern nur unterstützen und zwar abhängig von den Rahmenbedingungen - 25 Kinder und 2 Betreuungspersonen sind ungünstige Rahmenbedingungen für Sprachförderung.
2) Wie sollen im Kindergarten optimale Voraussetzungen für den Schuleintritt geschaffen werden?
Ressourcen so verbessern, dass Sprachförderung auch möglich ist (siehe oben).
KindergartenpädagogInnen sollen Kinder in einem schönen Nest begleiten. Beziehungsarbeit steht hier im Vordergrund. Die Gruppengröße muss dem angepasst sein.
Fremdheit überwinden, kulturelles Kennenlernen ermöglichen, Sprachkompetenz wahrnehmen. Hier ist viel Sensibilisierungsarbeit nötig, denn nicht nur Englisch und Französisch sind wichtige Sprachen, sondern auch Türkisch, die slawischen Sprachen, ...
Kooperation Kindergarten - Schule ist wichtig. Stärkerer Fokus auf die Schnittstellenarbeit (was momentan aufgrund der gesetzlichen Regelungen schwierig ist).
3) Wie soll es gelingen, aus demotivierten Kindern wissbegierige und neugierige Kinder und junge Erwachsene zu machen?
Kinder, die zu wenig dürfen, werden Erwachsene, die zu wenig können. - Begleiten, statt vorgeben!
Es gibt keine Kinder, die nicht neugierig sind, es gibt jedoch Erwachsene, die sie nicht beachten: Rahmen schaffen, um Kindern Beteiligung und forschendes Lernen zu ermöglichen.
4) Wann und wo gibt es „Knackpunkte"? Welche Alternativen kennen Sie?
Den Handlungsspielraum der PädagogInnen nicht einschränken. Zunehmende Sicherheitsbestimmungen und gesetzliche Regelungen machen die pädagogische Arbeit immer schwieriger.
Zusammenarbeit Kindergarten - Schule muss verbessert werden. Hier bedarf es einer Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen (z.B. Infoweitergabe). Es sollten bundesweit die gleichen Regelungen gelten.
Erstellen von Förderplänen, die die Kinder über die Institutionen hinweg begleiten. Abbau von Doppel- und Mehrgleisigkeiten, Koordinierung der zuständigen Stellen.